Auswertung der IG-JMV zur Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages vom 25.09.2019

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auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Fortbildung von Richterinnen und Richtern sowie Qualitätssicherung in familiengerichtlichen Verfahren“ – BT – Drucksache 19/8568 vom 20.03.2019

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Auswertung – IG-JMV – Anhörung Rechtsausschuss – 25.09.2019.pdf (420.34KB)

In der o. a. Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages sprachen sich die Sachverständigen für eine Verbesserung der Qualität von familiengerichtlichen Verfahren aus. Die anwesenden Experten bestätigten den von den Antragstellern gesehenen Reformbedarf.

Die in der Interessengemeinschaft Jungen Männer und Väter (IG-JMV) zusammengeschlossenen Verbände begrüßen insbesondere die von den anwesenden Richtern und Anwälten (m/w/d) mündlich vorgetragenen Darlegungen, in denen sie die Unzulänglichkeiten der familiengerichtlichen Verfahren schonungslos offenlegten.

In der Öffentlichkeit stand bis jetzt vor allem die Arbeit von Jugendämtern, Sachverständigen und Verfahrensbeiständen in der Kritik. Die Richterschaft war aufgrund ihres hohen Ansehens von Kritik verschont geblieben. Dankenswerterweise öffneten jetzt die leitenden Richter (m/w) die Büchse der Pandora und ermöglichen so einen Diskurs über notwendige Veränderungen in der Arbeit der Familiengerichte.

Zu bedenken sind vor allem die Aussagen zweier Sachverständiger, die die Rechtsstaatlichkeit in familiengerichtlichen Verfahren bemängelten:

  1. Familienrichter unterlassen es in der Regel, sich selbst ein Bild über den vorliegenden Fall zu machen und verlassen sich auf die Aussagen von Jugendamtsmitarbeitern (m/w/d) und Sachverständigen. So wird nach Aussagen der Experten dem gesetzlich vorgeschriebenen Amtsermittlungsgrundsatz nicht nachgekommen.
  2. Frau Lies-Benachib (djb) trug den Ansatz vor, Familienrichter als Fachrichter auszubilden und zu qualifizieren. Im Zuge der zunehmenden Verkomplizierung der Gesetze auch im Familienrecht (BGB, FamFG, SGB VIII usf.) spezialisieren sich die Fachanwälte – auch im Familienrecht. Es erscheint als zielführend, den aktuell geltenden Ansatz der Universalrichterschaft aufzugeben zugunsten von speziell ausgebildeten Fachrichtern / Familienrichtern (m/w/d).
  3. Mehrere Sachverständige kritisierten nicht nur die Rolle der Jugendämter in familiengerichtlichen Verfahren („Jugendämter sind oft eher Teil des Problems als Teil der Lösung“) sondern auch die Rolle der Verfahrensbeistände. Ihre Ausbildung sei ungenügend und mangelhaft und schade oft genug den Betroffenen.
    Zu prüfen ist der Vorschlag von Frau Lies-Benachib zur Gründung von Fachgerichten mit einem Kollegium aus drei Richtern (m/w/d) in hochstrittigen Familienverfahren. Diese Bestellung würde für Transparenz sorgen, ist es doch heute bereits Praxis, dass Familienrichter sich mit Kollegen „am Kaffeetisch“ über komplizierte Fälle beraten. Das bedeutet: Die Betroffenen wissen nicht, wer die gerichtlichen Entscheidungen in ihrem Falle trifft. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Justizgrundrecht auf Kenntnis des entscheidenden Richters laut GG Art. 101 sowie auf rechtliches Gehör laut GG Art. 103.

Die IG-JMV gibt jedoch zu bedenken:

So begrüßenswert eine Implementierung und Qualifizierung von Fachrichterschaft ist, die grundsätzlichen Defizite im deutschen Familienrecht werden dadurch nicht angetastet. Vielmehr gilt bis heute:

  1. Es fehlen im Familienrecht zeitgemäße und partnerschaftliche Regelungen für Trennungsfamilien.
  2. Eine bundeseinheitliche Rechtsprechung ist für Familienverfahren so gut wie nicht erkennbar. Die Beschlüsse fallen je nach OLG-Bezirk – gelinde gesagt – uneinheitlich aus. So entsteht der Eindruck von Zufälligkeit und Willkür.
  3. Die Gesetze schreiben – durch BGB §1606 (3) – ein Betreuungsmodell nahezu zwingend vor – das Residenzmodell: „Einer betreut – einer bezahlt“.
  4. Die laut Verfassung vorgeschriebene Gleichbehandlung der Geschlechter sowie die Gleichbehandlung der Eltern sind für Trennungsfamilien nicht erkennbar. Anstelle dessen existieren Priorisierung und rechtliche Besserstellung des Elternteils, der zeitlich mehr betreut. Es werden Gewinner-Eltern und Verlierer-Eltern produziert. Der „gute“ Elternteil erhält die Kinder und die finanziellen Transferleistungen. Der zweite Elternteil – der „schlechte“ – wird zum Zahl- und Besuchs-Elternteil abgewertet.
  5. Die Familiengerichte delegieren Einschätzungen und Stellungnahmen an Jugendämter und Gutachter. Das bedeutet, die Beschlussfassung wird faktisch durch Dritte vorgenommen.
  6. Vor Familiengerichten wird meist der Elternteil belohnt, der nicht kooperiert (wenn er mehr betreut). Er wird zum Gewinner des Verfahrens. Ein fataler Effekt für die betroffenen Kinder.
  7. Das deutsche Familienrecht ist hauptverantwortlich für den Fakt, dass 40 % der Kinder in Nachtrennungsfamilien vollständigen Kontaktabbruch zu einem Elternteil erleiden, meist zu ihren Vätern.

Forderungen / Lösungen:

  • Nötig sind grundsätzliche Veränderungen im Familienrecht im Sinne von „Beide betreuen – beide bezahlen“, unter Berücksichtigung der jeweiligen Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit sowie des Ansatzes von Gleichbehandlung für beide Eltern. BGB § 1606 (3) ist diesbezüglich zu verändern.
  • Der Ansatz „the winner takes it all“ (der Gewinner-Elternteil bekommt die Kinder, die Unterhaltsleistungen sowie die staatlichen Unterstützungen, der Verlierer-Elternteil wird zum Besuchs- und Zahl-Elternteil abgewertet) ist aufzugeben zugunsten des Ansatzes von Gleichbehandlung für beide Trennungseltern.
  • Vor Beginn des Familienverfahrens ist verpflichtende Mediation für beide Eltern zu setzen zur Regelung der Betreuung der Kinder. Dazu muss der Staat Druck auf die trennungswilligen Eltern ausüben: Bis zur Einigung gilt die Verteilung „jeweils hälftige Betreuung“, wie in vielen westlichen Ländern üblich.
  • Die Beteiligung der gerichtsnahen Professionen (Jugendämter, Sachverständige, Verfahrenspfleger usf.) ist für Trennungsverfahren zurückzufahren. Der Staat hat sich aus der Familie – auch Trennungsfamilien sind Familien – weitgehend herauszuhalten.
  • Der Wegzug eines Elternteils mit den Kindern nach außerhalb des Schulbezirks ist mit dem Verlust des Sorgerechts zu sanktionieren, wie in vielen westlichen Ländern bewährt.
  • Das Melderecht ist dahingehend zu verändern, dass die Kinder – ohne Zustimmungspflicht des anderen Elternteils – in zwei Haushalten angemeldet werden können.
  • Sämtliche staatlichen finanziellen Leistungen sind proportional zur Betreuung auf beide Haushalte zu verteilen.

Vor diesem Hintergrund greift der aktuelle Antrag zu kurz. Letztendlich trägt er dazu bei, die bestehenden Ungerechtigkeiten und Defizite weiter festzuschreiben.

04.10.2019

Die Anlage zur Auswertung der IG-JMV zum Download:
Anlage zur Auswertung – IG-JMV – Anhörung Ausschuss – 25.09.2019.pdf (475.04KB)

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